Die wieder höheren Zinsen und die gute Entwicklung der Kapitalmärkte zuletzt sind sehr erfreulich. Gilt jetzt die Börsenweisheit „Sell in May – and remember to come back in September“ („Verkaufe im Mai und denk‘ daran im September wieder einzusteigen“)?
Eine kurze Einordnung des aktuellen Geschehens:
UPDATE RAHMENBEDINGUNGEN
DIE LANGSAME VERLANGSAMUNG KÖNNTE SICH BESCHLEUNIGEN
Deutschland schrammte knapp an einer Rezession mit mindestens zwei negativen Quartalen vorbei: Durch die Revision des Schlussquartals 2022 von -0,4% auf -0,5% konnte im 1. Quartal 2023 ein Nullwachstum ausgewiesen werden. Die letzten Daten zur Industrieproduktion und den Auftragseingängen (Rekordeinbruch von 10,7%) zeichnen indes kein besseres Bild der heimischen Wirtschaft. Zum 6. Mal in Folge stieg jedoch die Erwartungskomponente des ifo Konjunkturindex, der damit die eklatante Winterlücke (Angst vor Energiekrise etc.) zur aktuellen Lagebeurteilung weitgehend geschlossen hat.
Auch das Frühjahrsupdate des Internationalen Währungsfonds dämpft die Hoffnungen auf einen größeren Wirtschaftsaufschwung. Insbesondere die Industrieländer dürften nach den jüngsten Schätzungen in 2023 nur um 1,3% wachsen, die Weltwirtschaft dank der Schwellenländer immerhin um 2,8%. Aufgrund des Verlaufs einiger Frühindikatoren kann das eher schleichende Tempo der rückläufigen Wirtschaftsaktivität in den kommenden Monaten durchaus noch an Fahrt gewinnen.
Nicht zu vergessen: Vor allem der massive Zinsanstieg bzw. der Entzug billigen Geldes als Schmiermittel der Wirtschaft entfalten erst mit Zeitverzug die volle Wirkung.
Von einem typischen Frühjahrsaufschwung ist aktuell in jedem Fall viel zu wenig zu spüren.
Hartnäckige Inflation bestimmt nach wie vor das Bild: die immer noch hohen Daten in den USA und der Eurozone lassen den Notenbanken (noch) keinerlei Spielraum für eine lockere Geldpolitik. Wir gehen aber anhaltend davon aus, dass die Inflationsraten in den kommenden Monaten weiter nach unten driften. Konsequenterweise hoben die US Federal Reserve und die EZB vor einigen Tagen nochmals die Leitzinsen an. Während in den USA nun eine Zinspause für einige Monate das wahrscheinlichste Szenario ist, dürften in Euroland die Zinsen noch 1-2mal um je 0,25% angehoben werden.
UPDATE MARKTGESCHEHEN
DAS SAISONAL GÜNSTIGE WINTERHALBJAHR GEHT ERFOLGREICH ZU ENDE
An der Börse gibt es seit jeher unterschiedliche Saisonalitäten. Das Winterhalbjahr ab (eigentlich Ende) Oktober ist dabei im Schnitt deutlich gewinnbringender als das Sommerhalbjahr mit seinen gefürchteten „Crash-Monaten“ September und Oktober.
Saisonalität des Weltaktienmarkts inkl. Schwellenländer der letzten 20 Jahre:
Im Winterhalbjahr mehr Gewinnermonate und mit überdurchschnittlichen Zuwächsen.
Quelle: Factset, Zeitraum Kalenderjahre 2003 bis 2022
Die letzten 6 Monate per 30. April bestätigen dies: Der Weltaktienmarkt inkl. Schwellenländer konnte rund 13% zulegen. Besonders die Eurozone zeigte eine (in den letzten Jahren ungewohnte) Outperformance zu den US-Märkten. So stehen gut 20% Plus im DAX lediglich 8,6% Zuwachs im S&P 500 gegenüber. Die Öffnung Asiens und Chinas nach den harten Corona-Maßnahmen spiegelt sich mit überragenden 36% Gewinn im Hang Seng Index wider (alle Angaben in lokaler Währung).
Auch der April konnte an den positiven Verlauf anschließen und lieferte je nach Region und Index nochmals rund 1-2% Plus ab – Ausnahme waren die asiatischen Schwellenländer, die in ähnlicher Größenordnung verloren. Die für April und Mai typische Dividendensaison bescherte Anlegern neben den steigenden Kursen in den letzten Wochen wiederum zahlreiche Ausschüttungen.
In den USA neigt sich die Berichtssaison der Unternehmen dem Ende entgegen: Zuletzt hatten gut 85% der Unternehmen ihre Zahlen zum 1. Quartal 2023 veröffentlicht. Ein weiteres Quartal dürften die S&P 500-Unternehmen leicht schrumpfende Gewinne ausweisen, auch wenn die noch schlechteren Prognosen in 4 von 5 Fällen nach oben geschlagen werden konnten.
SCHLUSSFOLGERUNGEN UND MASSNAHMEN DER VERMÖGENSKULTUR
VOLATILITÄT WIRD ZURÜCKKEHREN – CHANCEN ERÖFFNEN SICH
Die eingangs zitierte Börsenweisheit „Sell in May…“ wird jedes Jahr aufs Neue kontrovers diskutiert bzw. spekuliert – in den letzten Jahren wäre das eher die falsche Maxime gewesen. Fakt ist aber, dass die Weltbörsen in einer jahrzehntelangen Durchschnittsbetrachtung ihren Höhepunkt nicht im Mai, sondern im Juli erreichen (vgl. Grafik oben).
Bremsend könnte im laufenden Jahr (neben den eingangs skizzierten Rahmenbedingungen) eine langwierige Diskussion um das Erreichen der Schuldenobergrenze in den USA wirken. Nach letzten Aussagen steht der große Showdown bereits in den kommenden Wochen an: Schon Anfang Juni könnte der US-Administration nämlich das Geld ausgehen. Die politische Gemengelage steht für eine Einigung etwas ungünstiger als in den vielen Anhebungen der Vorjahre – sie wird unserer Ansicht nach aber auf jeden Fall kommen.
Die Stimmung unter den Analysten und Anlegern hat sich den Umständen schon weitgehend angepasst. Kurzum: es könnte die am meisten erwartete Verlangsamung bzw. Rezession aller Zeiten werden. Und wie verhält es sich dann an den Kapitalmärkten? Allgemein erwartete Umstände sind oft schon eingepreist. Zu beobachten ist bereits eine „chronische Unterinvestierung“ von Aktien gerade gegenüber der wieder attraktiv gewordenen Zinsanlage.
Da es aktuell an klaren und vor allem positiveren Impulsen mangelt, halten wir an unserer zurückhaltenden Vorgehensweise über Vermögensaufteilung, Investitionsgrad und Sektorausrichtung fest. Unsere Portfolios sind robust aufgestellt, größere strategische Änderungen führten wir zuletzt nicht durch. Wir erwarten für die kommende Sommersaison vor allem wieder mehr Volatilität als zuletzt…was selbstverständlich auch einige Chancen eröffnen wird.